Donnerstag, 9. Juni 2016

27. Oderumfahrt

Udo hat zur traditionellen Oderumfahrt gerufen. Da ich diese Fahrt noch nicht kenne will ich dieses Jahr erstmalig teilnehmen. Gleich vorweg - ich habe etwas Sorge das ich die Tour nicht durchhalte, da sie doch extrem lang ist.
Am 25. April 2016 trafen sich alle Teilnehmer im Bootshaus der TiB Oberspree. Wir hatten bereits an dem Wochenende zuvor alles vorbereitet. Bootscheck, Positionslichter, Werkzeug- und Verbandskoffer - man weiß ja nie.
Die Mannschaft bestand aus: Hansi aus Halle, Roman vom Ruderclub Anklam,  Peter und Björn aus Dänemark sowie Andreas, Herbert, Klaus,  Fahrtenleiter Udo, Thomas, Keule, Jens und meiner Wenigkeit Helge. Später kam noch noch Frank dazu und ersetzte Hansi.

erstes Gruppenbild bei Richtershorn

Unsere erste Etappe führte uns über bekannte Gewässer: Dahme, Seddinsee und Oder-Spree Kanal bis zur Wernsdorfer Schleuse. Ab hier habe ich Neuwasser.  "Das Wetter scheint uns wohl gesonnen." sag ich. Im Sonnenschein gleiten wir den Kanal hinunter.
Doch nur kurz darauf hätte ich mich ohrfeigen können für diese Bemerkung. Der Wind frischt auf und bringt uns zum bibbern. Doch damit nicht genug fängt es an zu regnen.
Die Sibirischen Winde haben es in sich. Der Regen wechselt zu Graupel und "schneit" uns quasi ein. Doch wir rudern weiter den Kanal runter bis Fürstenwalde. Endlich angekommen klart das Wetter auch wieder auf. Hier parken wir die Boote beim Ruderverein Fürstenwalde.
Der Werkzeugkasten findet direkt abends noch seinen ersten Einsatz. Ein Rollsitz will nicht mehr so wie wir es wollen.

Rollsitz will nicht mehr
Unser Quartier in der ersten Nacht

Skulls


In der Stube bei Fürstenwalde

Am nächsten Morgen regnet es und die Kameraden wollen nicht so recht auf's Wasser.
Hilft alles nichts. Die Boote werden kurz ausgeschöpft und zu Wasser gelassen. Platsch auf den nassen Rollsitz gesetzt und los geht's in die Zweite Etappe.

Es regnet und wir rudern eisern den Oder Spree-Kanal weiter gen Osten. Wieder 100 Meter. Der Kanal ziiieeeeht sich. Ständige Kilometerangaben am Rand machen die Strecke nicht kürzer. Es regnet nach wie vor. Mal stärker - mal nur Niesel. Aber nicht einmal lässt sich die Sonne blicken. Dazu pfeift immer wieder ein eiskalter Wind durch die durchnässten Klamotten. Diese Etappe ist lang - zirka 84 Kilometer müssen wir bewältigen.

Funktionskleidung 1.0 - benötigt unbedingt ein Update
Pitsche Patsche Nass - Stimmung geht so!

In der Zwillingschachtschleuse in Eisenhüttenstadt angekommen haben wir bereits 9 Stunden im Dauerregen gerudert. Nichts trockenes haben wir noch am Körper. In der Schleuse wird einem ohne Bewegung schnell richtig kalt. Doch zusätzlich pfeift jetzt ein Wind mit Minusgraden über uns hinweg. Zitternd halten wir uns an den Schleusenwänden fest. Doch es geht nicht los. Es dauert ewig bis der Schleusenwart die Tore schliesst und uns die 14 Meter hinunterschleust. Immerhin verzichtet er auf das langwierige Ausgleichsverfahren wofür die Schleuse eigentlich bekannt ist, sondern er macht eine schnelle Schleusung. Mit gutem Tempo geht es bergab.

Kurz nach der Schleuse legen wir wie geplant an und kehren in eine Gastwirtschaft ein. Solche armen Gestalten hatte die Bedienung wohl auch noch nie gesehen. Alle triefend nass und vor Kälte zitternd betraten die Gastronomie. Wegen der nassen Klamotten gab's Stühle mit Handtüchern als Überzug und eine Extra Ecke wo wir in Ruhe uns aufwärmen konnten. Nach einem Lecker-Essen und ein/zwei Grog kehrte wieder Leben in die ausgezehrten Gesichter.
Als wir das Restaurant verließen konnten wir unseren Augen kaum trauen. Die Sonne schien - zum ersten mal heute. Alle wieder in die Boote gehüpft und weiter - jetzt ist es nicht mehr weit bis Frankfurt Oder. Kurz darauf ging es auf die Oder und die Strömung unterstützte uns auf die letzten Kilometer. An der Einfahrt zu unserem Quartier musste man sich nochmal ordentlich gegen die Strömung stemmen, doch die Aussicht auf eine warme Dusche weckte die letzten Reserven in uns.

Nachdem die Boote entladen, jeder ein Plätzchen zum Schlafen gefunden hatten wurde geduscht und ein kurzer Abend noch mit Bier beschlossen. Lange konnten wir nicht aufbleiben. Morgen hieß es um fünf Uhr aufstehen und 108 Kilometer bestreiten.

Wecker klingeln. Die Dritte Etappe kräht.
Es ist 5 Uhr morgens als wir den Steg betreten. Es beginnt gerade zu dämmern – der Mond ist derzeit noch das Hellste am Himmel.
Die Nacht war kalt. Steg und Boote sind vereist. Herbert bemerkt es zu spät und fliegt rücklings auf den vereisten Steg. Autsch. Das tat weh.
Vorsichtig sammeln wir alles zusammen und lassen vorsichtig die Boote zu Wasser.
Die vereiste Bootsleine biegen wir in das Boot und legen mit dem ersten Sonnenstrahl ab.



vereiste Skulls im Vordergrund, Mond im Hintergrund

Vorsichtig tapsen - is glatt

Von kalten Winden begleitet rudern wir die Oder hinab. Das Wetter zeigt sich typisch für den April weiterhin wechselhaft, doch bleiben uns Dauerregen und Graupel heute erspart.

Wir nutzen die Strömung der Oder um zügig voranzukommen. Steuermannswechsel erfolgen mangels Anlegemöglichkeiten fast ausschliesslich auf dem Wasser. Es ist ein Schauspiel das Gekrebse an Bord mit anzusehen.
Aber auch wenn sich Möglichkeiten bieten einmal anzulegen ist das leichter gesagt als getan. Die Strömung ist derart stark das man einen Steg nur schwerlich erreicht.
Sonnenaufgang auf der Oder
Unser Beiboot oder: "Oder" auf der Oder

Am Oder-Havel-Kanal einmal scharf Backbord und wir haben wieder ruhige Wasser.

Auf der "Wriezener Alten Oder" ging es weiter Richtung Schiffshebewerk Eberswalde Finow.
Dort angekommen kam mein persönliches Highlight dieser Fahrt. Das Hebewerk kenne ich noch aus alten Kindheitstagen und weiß wie sehr es mich damals beeindruckt hat. Damals noch als Zuschauer von ganz oben kann ich heute erstmals in dem Bottich nach oben fahren. Ich bin extrem gespannt und teile meine Erfahrung Live auf Facebook mit anderen - die moderne Technik macht es möglich.
Es geht hoch - 36 Meter werden wir nun in dem Bauwerk von 1934 emporgehoben samt den 4290 Tonnen die der Trog samt Wasser wiegt. Nur 256 Stahlseile halten dieses Monster. Wer mehr zu dem Hebewerk erfahren möchte, dem sei der sehr umfassende Wikipedia Artikel empfohlen.

Links das alte Schiffshebewerk, Rechts das Neue im Bau
Im Schiffshebewerk - icke gerade am Live streamen

Blick nach oben

Ein bisl fertig sind wa schon nach ca. 100km heute

Ausfahrt Schiffshebewerk Eberswalde/Finow
Auf dem Oder-Havel Kanal oben angekommen geht es nur noch ein kurzes Stück bis Eberswalde.
Im dortigen Kanuklub Empor gastieren wir und feuern als erstes den Kamin an um die nassen Sachen erneut zu trocknen und nicht zu letzt uns selbst zu wärmen. Bei Bier und Schnaps (Neuwasser - ständig) gratulieren wir uns gegenseitig die längste Etappe von 108 Kilometern überstanden zu haben. Aber auch die erfahrenen Umfahrt-Teilnehmer sind sich einig - so hart wie dieses Jahr war es noch nie.
Foto ist selbsterklärend - oda?

Auf den Matratzen im Kraftraum und den Umkleiden verteilen wir uns uns bereiten uns auf den nächsten Tag vor.  Aus jetztiger Sicht ein kurzes Stück bis Oranienburg.

Die Vierte Etappe startet trocken (Das muss hier wirklich hervorgehoben werden). Am Steg versammeln sich alle für ein schönes Gruppenfoto und dann geht es in die Boote.




Gruppenfoto (nur icke fehle -muss knipsen)

Auf dem in den letzten Jahren extrem verbreiterten Kanal ist es nicht ganz so spannend wie in natürlich belassenen Gewässern - aber immerhin sind wir über eine Bahntrasse gerudert (leider sieht man das aus dem Boot nicht - da wäre mal eine Drone nett gewesen).

Ich merke das die langen Etappen nicht spurlos an mir vorüber gegangen sind. Mein Handgelenk schmerzt -Sehnenscheidenentzündung vermute ich. Das drehen der Skulls wird zunehmend schwieriger und mein Gelenk wird sichtbar dick. Mist!

Es hilft alles nichts - ich muss mit stehendem Blatt fahren. Das ist extrem nervig, weil man doch das ein oder andere mal an einer Welle hängenbleibt.

Wir erreichen die nächsten Schleuse. Hier ist schurren angesagt. Wir versuchen das Boot an einem Pfeiler bereit zu halten. Die starke Strömung von der Schleuse macht uns das nicht einfach. Als die "Spree" fertig übergesetzt hat dürfen wir mit dem Modulboot "Oder" einfahren. Als Fünfer+ ist es etwas zu lang für die Schurre und wir müssen die Spitze von Hand tragen um dem Boot keinen Schaden zuzufügen. Nach einigen Keilereien wie man es richtig macht sind wir nach wenigen Minuten trotzdem wieder auf Kurs und haben unbeschadet den nächsten See erreicht.

Ich darf vorzeitig wieder auf den Steuerplatz um meine Hand zu schonen. Wir steuern auf Oranienburg zu und legen am Steg an. Im Vereinssaal ist der Ofen schon gut am böllern und wir suchen uns alle unsere Ecke auf dem Boden. Zum Klönen ziehen wir rüber in das "Hafenbüro". Dort feiern wir sehr ausgelassen und lange, denn jeder weiß - morgen haben wir frei.

Steg Oranienburg
im Hafenbüro
Keule und Icke


Keule und Udo

Was man an solch einem Abend alles erfährt ist in einem Text gar nicht schnell wiederzugeben. Was aber direkt mit dieser Tour ein interessanter Aspekt war ist, das diese Tour nur durch den Mauerfall geboren wurde.
Ursprünglich war die Idee in den 80er Jahren mit Ruderkameraden von der TiB (damals KWO) geboren worden. Frank wollte zu seinem Grundstück bei Oranienburg rudern. Leider war das einem durch die Berliner Mauer verwehrt. Eine alternative Route hätte alle Dimensionen gesprengt.

Doch kaum war die Mauer im November 1989 gefallen war die Idee wieder zu Leben erwacht und bereits im April 1990 mit den ersten wärmeren Temperaturen startete die erste Oder-Umfahrt. Am Nieder-Neuendorfer-See kam es dann tatsächlich sogar zu einer Grenzkontrolle auf dem Wasser – die DDR war ja noch existent. Die DDR Grenzbeamten hatte einen Schwimmsteg aufgebaut und ließen die komplette  Bootsbesatzung dort aussteigen. Das Gewicht der vielen Ruderer hatte der Beamte aber nicht mit einkalkuliert und so sank der Ponton mit jedem Kameraden mehr und mehr, so dass der "Sheriff" mit seinem Füßen schnell im Wasser stand. Er ließ lieber schnell wieder alle einsteigen bevor er komplett im Wasser versank. Der sprichwörtliche Untergang der DDR.

Das ist nur eine von vielen Anekdoten die ich hören durfte - doch diese gefiel mir am besten weil sie auch den Ursprung der Fahrt am besten vermittelt (ich hoffe ich habe es halbwegs richtig wiedergegeben - war schon sehr spät an dem Abend).

Am folgenden Tag wurde nicht gerudert sondern wir ließen es und gut gehen und gingen in den Turm - eine Wellness-Oase mit diversen Saunen und Schwimmbädern.
Nur Keule und Andreas wollten lieber auf Welle sein (auf Achse kann man ja nicht sagen) und verbrachten den Tag lieber mit einer Ausfahrt zum "Schwan" (Restaurant im Ruderrevier Oranienburg).

Alle Anderen genossen die warmen Temperaturen in der Sauna - seit Tagen waren wir unterkühlt gerudert, wurden vom Eiswinden gepeitscht und mussten Stunden in nasser Kleidung verbringen.
Im warmen Whirlpool oder einer Sauna mit speziellem Aufguss erholten sich die Körper von den Strapazen der letzten Tage. (von dieser Etappe gibts logischerweise keine Bilder :-)

Für meine Hand hatte ich inzwischen auch eine spezielle Salbe erhalten die meinem Handgelenk gut tat.

Hansi verließ uns an diesem Etappenziel und reiste mit der Bahn via Berlin zurück nach Halle. An seiner Stelle stemmte ab sofort Frank die Skulls im Boot.

Am Samstag startete dann die fünfte Etappe Richtung TiB Tiefwerder.
Zuerst ging es die Havel weiter hinunter bis zum Ruderclub Oberhavel (RCO). Hier kurze Rast und weiter bis Berlin. Dabei passierten wir die Stelle an der die besagte Grenzkontolle stattfand. Noch heute liegen in den Durchfahrten zum Nieder-Neuendorfer-See die versenkten Schubeinheiten. Diese sollten das durchtauchen verhindern. Auf den "Schwimmhafenwiesen" patrouillierten Hunde und gaben Alarm wenn jemand den Fluchtversuch wagte.

Inzwischen gibt es einen Durchbruch und wir können ungehindert weiter der Havel folgen und kurz darauf unseren nächsten Stopp bei Saffonia halten. Unsere Dänemarker sind dort wohl sogar Mitglied - wenn ich das richtig verstanden habe. Dort jibt's lecker Wiener und Gehopftes.
Da  der Verein kürzlich fusionierte mit dem RV Preussen gibt es auch eine neue Flagge. Diese wurde uns feierlich für unser Clubhaus überreicht.
feierliche Flaggenübergabe bei Saffonia
Anschliessend weiter mit einem Abstecher zum RC Tegel machen, wo wir gemütlich zu Mittag essen konnten. Von der Veranda des Vereins konnten wir Moby Dick sehen – DAS Ausflugsschiff schlechthin in Berlin. Jeder kennt es.
Moby Dick
Wieder ruff uff's Wasser und die Perlenkette von Motorbooten gekreuzt.

Thomas mit seiner Spezialmischung
Abends in Tiefwerder angekommen hatte Axel lecker gegrillt und Thomas für das flüssige Wohl gesorgt. (Unsere Crew in Tiefwerder weiß was es nach so einer Tour braucht!)
Wir saßen noch lange um die Feuerschale und quatschten über Gott und die Welt.
gemütliche Runde bei Tiefwerder

Das klönen rund um die Feuerschale - Tradition!
Sechste und Letzte Etappe: über den Teltowkanal zurück zu TiB. Hier kann ich gar nicht viel berichten, da ich an diesem Tag Landdienst hatte und somit in keinem der Boote mitruderte. Aber ich kann euch aus meiner Erfahrung der letzten TiB-TiB Touren sagen wie schön diese Strecke ist, mit einer wunderschönen Schleuse und am Tempelhofer Hafen haben meine Ruderkameraden wie immer für einen Imbiß gehalten.
Schleuse Kleinmachnow

schön festhalten…




Tempelhofer Hafen
Ich konnte Sie dann in unserem Ruderrevier an den Brücken abpassen und somit auch mal Fotos von ausserhalb des Bootes machen.
Am Heimathafen wieder angekommen mussten die Boote von einer Woche Tour gründlich geputzt werden und das Nachher Foto durfte natürlich auch nicht versäumt werden. 388 Kilometer haben wir gemeinsam in sieben Tagen zurückgelegt. Eine spannende Tour. Eine Tortour. Ein Abenteuer.
Schon fast am Ziel noch eine kurze Pause auf dem Wasser - ich winke vom Ufer

Mit Sonne ist die Stimmung wieder tippi-toppi

Einfahrt in den Heimathafen bei der TiB Oberspree
das besagte Nachher Foto
Vor zwei Tagen dachte ich mir noch - "Warum tust Du Dir das an?" oder "Das machst Du nie wieder!". Doch inzwischen denke ich nur daran welche Klamotten wohl nächstes Jahr praktischer wären um Nässe und Kälte zu trotzen.

2016 © Helge Kubath